Die Bildung als Widersacher des Geistes
Vortrag von Magnus Klaue
Montag, 22. 11. 2010, 20:00
Neues Institutsgebäude, Hörsaal II, Universitätsstraße 7
Alle rufen nach Bildung. Nicht erst seit den studentischen Protesten, den diversen Pressekonferenzen und Universitätsversammlungen der Rektoren im Oktober kann man den Eindruck gewinnen, die Bildung in Österreich sei dabei, zum höchsten nationalen Heiligtum zu werden und selbst dem alpinen Schilauf den Platz streitig zu machen. Da das "bildungspolitische Bild tragisch und erschütternd" sei, wie ein Rektor feststellt, sollte es, wie ein anderer sekundierte, "eine nationale Strategie geben" wie für "Schifahrer auch", um dieser Misere abzuhelfen. Schließlich sind Bildungsausgaben Zukunftsausgaben, die weiter reichen als bis zur nächsten Weltmeisterschaft. Aber auch die Studierenden bemängeln hauptsächlich, dass die momentane Bildungspolitik verkenne, wie groß der "gesellschaftliche Wert von Bildung" sei, und fordern Bildung für alle und wollen gar der "Bildung an sich" zu ihrem Recht verhelfen. Dieser bildungspolitische Amoklauf, in dem sich Lehrer, Forscher und Studenten der Sache nach weitgehend einig sind, zeugt von einer frappierenden Geschichtsvergessenheit. Bezeichnet doch der bei Goethe und Humboldt noch im Sinne emphatischer Individuation verstandene Begriff der Bildung in Deutschland spätestens seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert eine Reihe von Schandtaten. Insbesondere richtet er sich gegen den "Geist", dessen Wurzellosigkeit, Flüchtigkeit, Insistenz und zersetzender Kraft mit der Bildung ein Prinzip intellektueller und sittlicher Bodenhaftung gegenübergestellt werden soll. Wie die Dichotomisierung von Bildung und Geist sich im deutschen Sprachraum historisch entwickelt hat, wie sie mit dem Kapitalverhältnis bzw. dessen falscher Aufhebung zusammenhängt, und weshalb die "Geisteswissenschaften" heute völlig zurecht durch die "Kulturwissenschaften" ersetzt werden, möchte der Vortrag in Rekurs auf die Verteidigung des Bildungsbegriffs bei Horkheimer und Adorno zu klären versuchen.
Magnus Klaue lebt in Berlin, arbeitet für die Jungle World und ist Koautor des Bandes "Gegenaufklärung. Der poststrukturalistische Beitrag zur Barbarisierung der Gesellschaft", der demnächst im ça ira-Verlag erscheint.
Eine Veranstaltung von Café Critique
in Kooperation mit der Basisgruppe Politikwissenschaft
unterstützt von der STV Doktorat GeWi/Hus
http://www.cafecritique.priv.at/